Emanzipation durch Vernetzung
Leander Brandstädt
An welchem Punkt fängt bei der Arbeit eines Gestaltenden Design eigentlich an? Wie weit muss ein Designer ausholen um nachhaltig zu agieren? Welche Umstände bewegen Gestaltende dazu Fragen wie diese zu stellen? Schnell wird klar, dass es unzählig viele Anknüpfungspunkte gibt, denen sich gewidmet werden kann, um Probleme aufzudecken oder zu lösen. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt liegt in der Gesellschaftskritik, die durch uns als Informationsgesellschaft stetig aus sich selbst hervorgeht. Im Aspekt der weit fortgeschrittenen Vernetzung sollte beispielsweise der Grundgedanke für jeden Gestaltenden ein zunehmend globaler sein.
Kürzlich bereiste ich Indien und erhielt Einblick in die Kultur und Alltag des Landes. Ich reiste von Bombay bis nach Kerala in den Süden von Indien. Ganz abgesehen von religiösen und kulturellen Unterschieden zur europäisch-westlichen Welt, fällt schnell Armut und Leid auf. In weiten Teilen, gerade auf dem Land, sind Tauschgeschäfte oder Barzahlungen üblich. Vergleichbar primitiv und einfach leben Millionen von Menschen nicht nur in Ländern wie Indien. Auch in anderen Entwicklungsländern und auf anderen Kontinenten wie Afrika oder Südamerika können ähnliche Zustände wahrgenommen werden. Im unmittelbaren Vergleich zwischen diesen Ländern und der westlichen Welt leben wir in einer Gesellschaft mit höchstem Wohlstand, der es möglich macht, beispielsweise qualifizierte Bildung oder ein Sozialversicherungswesen in Anspruch nehmen zu können - und das in einem politisch stabilen Umfeld. Ähnlich stabile Systeme müssen entwickelt werden, um in den Entwicklungsländern Fortschritt zu erlangen.
Warum sollte ein Designer diese Problematik auffächern und sich dabei mit grundlegenden ökonomischen Fragen auseinandersetzen? Die Ökonomie ist ein ganz entscheidender Faktor, der auf Vernetzung basiert und unter anderem Fortschritt in Form von Wohlstand generieren kann. Es kann behauptet werden, dass bis dato keine globale ökonomische Vernetzung besteht. Rund 60% der Menschen haben keinen Zugang zu einem eigenen Konto und sind auf einen Hand-zu-Hand-Handel angewiesen. Die Lösung für dieses Problem liegt im heutigen Fortschritt der Technik: digitale Netzwerke. Die Gestaltung spielt dabei eine große Rolle, da sie im Zuge der rasanten Entwicklung oft vernachlässigt wird, aber als Vermittler eine der wichtigsten Positionen einnimmt. In der Ökonomie ist jeder Handel eine Transaktion. Damit gemeint sind beispielsweise „Search Costs“, die durch Google in den letzten Jahren erheblich günstiger gestaltet werden konnten, „Bargaining Costs“, die entstehen, wenn kein klar definierter Preis vorhanden ist und immer wieder aufs Neue verhandelt werden muss, oder „Enforcement Costs“, welche das Durchsetzten gegenüber anderen generieren. Eben diese Transaktionen haben ihren eigenen Kostenaufwand und tragen zur etwaigen Entwicklung bei. So war unter anderem die Industrialisierung in England so weit vorangeschritten, da die Transaktionskosten gegenüber anderen Ländern günstiger waren und so ein höherer Austausch generiert werden konnte. Dies hatte zur Folge, dass sich Menschen in verschiedenen Arbeitsbereichen spezialisieren konnten und sich stärker profilierten. Gleichermaßen ermöglichte es aber auch, die Aufmerksamkeit auf neue Erfindungen und Ideen zu legen.
Wie oben bereits erwähnt, spielt das Netzwerk eine essentielle Rolle in der Entwicklung von Wohlstand. In Asien und Südamerika haben rund 60% der Menschen keinen Zugang zur Weltwirtschaft, in Afrika sind es sogar knapp 80%. Es fehlt der Zugang zu Bankkonten, der Zugang zum Finanzsystem. Wie ist es möglich, diese Teile der Welt am Netzwerk teilhaben zu lassen? In den vergangenen Jahren ist ein neuartiges System entstanden: Blockchain, in angewandter Form das Bitcoin. Blockchain ist im Wesentlichen eine Datenbank, die sich fortlaufend synchronisiert und dezentral gesteuert wird. Anders als übliche Systeme, welche zentral geführt werden und durch eine Firewall Sicherheit erhalten, speichert die Blockchain-Technologie alle Daten fortlaufend in Datensätzen ab. Jeder Rechner ist praktisch ein Klon des anderen. Sobald nun ein Datensatz, also die zu übermittelnde Information, Unstimmigkeiten aufweist, schlagen die anderen Rechner Alarm. Einer der großen Vorteile, die die Protokoll-Technologie mit sich bringt.
Im gleichen Zuge heißt es allerdings auch, dass in alle Daten Einsicht gewährt werden muss und es bei großen Datenmengen zu Wartezeiten kommen kann. Transaktionen werden im stetig größer werdenden Netz zeit- und dadurch kostenintensiver, eben dadurch, dass jede Person im Netzwerk der Transaktion zustimmen muss. Die Privatsphäre ist ein fester Bestandteil unseres Wertestamms und bereichert jede Gesellschaft im gesunden Maß. Wichtig ist wiederum der Ausgleich zwischen öffentlicher Transparenz und Privatsphäre. Dies sind zwei Kritikpunkte, die dieses System an der Idee hindern könnte, die gesamte Welt an das Finanzsystem anzubinden. Im positiven Sinne stellt sich nun für Gestaltende die Frage, wie etwaige Nachteile als Schnittpunkte genutzt werden kann. Diese Situation stellt uns vor die Frage, wie es möglich gemacht werden kann, fehlende Länder im System zu integrieren. Es sollte dabei wichtiger sein, keine konkurrierenden Entwürfe auszuformen, sondern eine Synergie aus bestehenden Systemen zu erzeugen. So ist es gleichermaßen eine Chance, bestehende sowie zu entwickelnde Entwürfe zu komplementieren. Die Blockchain-Technologie bietet sich daher als Tool zur sicheren Speicherung und Verwaltung von Datensätzen an. Der Idealfall besteht also aus der Ergänzung von zweierlei Ebenen. Die bereits beschriebene erste Ebene ist die Blockchian-Technologie („on-chain“) und die zweite ergänzende Ebene bildet das „off-chain“. So bietet die off-chain Technologie ein überaus effizientes Transaktionsmodel in Synchronisierung mit der „on-chain“ Technologie als fortlaufendes Speichersystem. Über die Ergänzung beider Systeme wird zusätzlich Privatsphäre geboten, da im „off-chain“ nur die Parteien, welche die Transaktion führen (Sender, Empfänger, System) beteiligt sind. Als Resultat beider Verknüpfungen haben wir einen sinkendenden Kostenaufwand, da auf weniger Ressourcen in der „on-chain“ Technologie zurückgegriffen werden muss. Gegenwärtig können wir feststellen, dass egal auf welchem Kontinent, egal in welchem Land, egal in welcher Gesellschaft, beinahe jeder Mensch ein Smartphone besitzt. Der Hintergrund des Besitzes eines Smartphones ist jedoch oft ein anderer. Auch in Indien erlebte ich die Situation, dass Menschen nur das Nötigste zum Überleben hatten, aber dennoch ein Smartphone besaßen. Heutzutage könnte also jeder durch mobile devices am Netzwerk beteiligt sein.
Zusammenfassend kann hervorgehoben werden, dass in den letzten Jahren ein globales Netzwerk geschaffen wurde, das zum Informationsaustausch oder als Vertriebsplattform (u.v.m.) genutzt werden kann. Wagen wir den Schritt und kombinieren nun diese on/off-chain Technologie mit der globalen Vertriebsplattform erhalten wir eine überaus leistungsstarke Kombination. Es ist dadurch möglich, den Großteil der Menschen, welche noch nicht am globalen Ökonomiesystem teilhaben, zu integrieren. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass diese Technologie nicht als Ablösemodel gehandelt werden sollte. Abhängig von geografischer Lage haben diese Modelle die Möglichkeit, Arbeitsweisen von Banken oder Regierungen mittels der on/off-chain Technologie auch in unseren Einzugsgebieten zu sensibilisieren. Die Entwicklung bietet in Zukunft Freiraum für neue transparentere Führungsweisen (blockchain) und neues Potenzial für Kommunikation/Transaktion (off-chain). Dennoch bleibt es umstritten, auf welchen Wegen diese Technologie durchgesetzt wird. Gerade in Afrika ist die Nachfrage nach eben diesen Modellen immens hoch. So mag es skurril klingen, doch die Zukunft der Blockchain-Technologie wird anhand der Praxis in Entwicklungsländern ausgearbeitet. Bezugnehmend auf die eingangs gestellten Fragen, ist klargeworden, dass es im heutigen Design-Aspekt nicht mehr nur um eine äußerliche Gestaltung geht, sondern genauso viel um die dahinterliegenden Prozesse. Design lebt von Nachhaltigkeit – und das bei materiellen wie auch immateriellen (digitalen) Produkten. Es ist festzustellen, dass die Entwicklung dieser Technologie fortschreiten wird. Die Richtung können wir allerdings gestalten. Eben aus diesem Grund ist es wichtig, sich der neuen Technologien offen gegenüber zu stellen. Die gestalterische Aufgabe liegt daher bei dem Entwurf, Schwellenländer mit jener Technologie zu bereichern und auf die entsprechenden Bedürfnisse einzugehen. Die Entwicklung kann in zwei Phasen eingeteilt werden. Erstere entspricht der Anwendung um ein global agierendes System aufzubauen, das alle Menschen einbezieht. Als die zweite Phase lässt sich das Verknüpfen mit den bereits bestehenden Systemen, unter anderem dem Finanzsystem wie wir es gewohnt sind, beschreiben.
Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, bestehende Systeme in Sachen Transparenz zu sensibilisieren. Hierbei gilt auch zu erwähnen, dass es nicht von langfristiger Veränderung sein wird, etwaige Systeme nur zu integrieren, sondern diese zu nutzen um das aktuelle Finanzsystem zu emanzipieren. Anhand der Entstehung und Auswirkung von Demokratie lässt sich dieses System auch einordnen. Es wird im besten Falle, wie es die Demokratie auch zeigte, Institutionen dazu bringen anders zu agieren. Dabei geht es darum, die Gesellschaft zu integrieren. Durch diese Technologie ist es möglich, Geld wieder als Währung allein und nicht als Ware zu sehen, wie es aktuell bei Spekulationsgeschäften üblich ist.