Irritation
Michael Braun
Mit dem Begriff der Irritation soll hier ein Spannungsfeld aufgezeigt werden, das sich mit verschiedenen Gedanken in Bezug auf Autor- und Urheberschaft – und dessen Differenzierbarkeit – beschäftigt. Diese Klärung stellt den Status Quo der geltenden Bedeutungen im Bereich der gestalterischen Disziplinen dar. Die darauffolgenden Gedanken stehen zwar in einem Zusammenhang, sollen aber als in sich geschlossene Teile des Essays verstanden werden, da sie gegenübergestellt fast gegenteilige Haltungen in Anschlag bringen. Sie bauen also nicht aufeinander auf, sondern stellen vielmehr eine Sammlung unterschiedlicher, sich allerdings wechselseitig bedingender Thesen dar. Der erste Gedanke bringt meine persönliche Haltung zur Urheberschaft und damit zur Autorschaft beziehungsweise der Idee des von Leon Battista Alberti im 15. Jahrhundert eingeführten Autorenbegriffs zum Ausdruck. Ich bin der Meinung, dass es falsch ist, dass ein Name eines Autors oder Urhebers für ein Werk allein stehen kann und provoziere bewusst mit der Behauptung, dass es eine alleinige Urheberschaft und damit Autorschaft gar nicht geben kann. Der zweite Gedanke geht gezielt auf Mario Carpos These ein, welche beschreibt, dass die klassische Autorschaft durch die offenen und generativen Verfahren der Digitalisierung gefährdet sei, da am Ende dieser (vernetzten) Prozesse mehr als nur ein Objekt stehen könne. Für diesen Gedanken akzeptiere ich die Existenz der Autor- und damit Urheberschaft und möchte in diesem Zusammenhang offene von vermeintlich offenen Verfahren abgrenzen und darstellen, warum es immer eine Autor- und damit Urheberschaft geben wird. Der dritte Gedanke als Utopie: Brauchen wir heute die Autorschaft überhaupt noch? Dieser Teil des Essays setzt sich mit der Vorstellung auseinander, was wäre, wenn es keine Autorschaft mehr gäbe. Interdisziplinarität mit kollektivem Mehrwert oder schlichtweg chaotische Zustände? Abschließend möchte ich ein Fazit ziehen, welches mit einer Aussicht endet, die vor allem zu Diskussionen anregen und unterstreichen soll, dass wir uns mit der gegenwärtigen Digitalisierung wohl in einer der spannendsten Zeiten seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert befinden.
Begriffsklärung – Zusammenhänge von Autor- und Urheberschaft
Interessant ist, dass schon erste Irritationen entstehen, wenn versucht wird, einen substanziellen Unterschied in den Definitionen von Autorschaft und Urheberschaft darzustellen. Interessant, weil sich häufig die Definitionen kaum voneinander unterscheiden und es zu irreführenden Erläuterungen in Texten bis hin zu fatalen Verwechselungen führt. Das ist nicht verwunderlich, sondern eher bemerkenswert, da es akademische Veröffentlichungen gibt, die nahezu ausschließlich von Autorschaft sprechen, obwohl sie eigentlich auch Urheberschaft meinen und genauso umgekehrt. Ein Beispiel ist Mario Carpos „Alphabet und Algorithmus“: Hier wird die These aufgestellt, dass am Ende einer (digitalen) Prozesskette mehr als nur ein Objekt stehen könne und durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Beteiligter die seit der Renaissance bestehende Idee der Autorschaft nach Alberti gefährdet wird. Sicherlich schließen diese Prozesse vor allem geistige Arbeiten ein, die hier unbedingt mit Autorschaft in Verbindung gebracht werden müssen, dennoch geht es aber auch um die Variation der physischen Ergebnisse und der dafür notwendigen Werkzeuge. Also müsste in dieser Veröffentlichung neben der Autorschaft auch die Rede von Urheberschaft sein. Im Allgemeinen versteht sich ein Autor als Verfasser, beispielsweise eines Textes, Essays oder Buchs. Es geht in der Autorschaft in weiten Teilen um das Geistige als um das Materielle. In der Gegenwart umfasst die Autorschaft also ein Recht am geistigen Eigentum. Dieses Recht erfährt durch die Urheberrechtsgesetze einen Schutz: „Der §11 des Urheberrechtsgesetzes beschreibt, dass das Urheberrecht den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes schützt. Dabei dient es zugleich der Sicherung einer Vergütung für die Nutzung des Werkes.“(1) Mit diesem Auszug wird allerdings der Unterschied zwischen Autor und Urheber noch nicht deutlich, da hier ein Urheber gleichzeitig ein Autor sein kann. Das Eine schließt das Andere also in manchen, nicht aber in allen Fällen ein. Im folgenden Abschnitt wird dieser Unterschied etwas deutlicher: „Eine allgemeine Definition für das Wort Urheber meint eine natürliche Person, die etwas veranlasst oder verursacht hat, einen Initiator, Anstifter, Verursacher oder Verfasser nach der allgemeinen Handlungsautorschaft. Das deutsche Urheberrecht versteht unter dem Urheberbegriff nach dem §7 des Urheberrechtsgesetzes eine natürliche Person, einen menschlichen Schöpfer. Dieser erschafft ein Werk, darunter versteht der Gesetzgeber eine eigene, materielle oder geistige, eine intellektuelle, auf jeden Fall aber eine durchaus persönliche Schöpfung.“(2) Mit anderen Worten: Das Urheberrechtsgesetz schützt geistige (dann Autor) aber auch materielle (dann Urheber) Schöpfungen. Das bedeutet, dass ein Autor nach dem Urheberrechtsgesetz auch immer ein Urheber ist. Ein Urheber ist aber nicht immer ein Autor, beispielsweise dann, wenn es sich ausschließlich um materielle Schöpfungen handelt. Wichtig ist zudem, dass der Autor und/oder Urheber einen zusätzlichen Schutz durch das Verwertungsrecht erfährt. Interessant ist die Definition insbesondere in Bezug auf unser Wirtschaftssystem. Denn im Verwertungsrecht wird beschrieben, dass das Verwertungsrecht dem Urheber, also auch dem Autoren zustehende Rechte zur wirtschaftlichen Verwertung seines Werks zuführen kann. Das geschieht durch die Einräumung von Nutzungsrechten, die die wirtschaftliche Verwertung für Dritte ermöglicht.(3)
Gedanke 1 – Es kann keine alleinige Urheberschaft/ Autorschaft geben
In der bereits erwähnten Veröffentlichung „Alphabet und Algorithmus“ schreibt Mario Carpo über den Übergang von mechanischen zu digitalen Produktionsbedingungen und fokussiert dabei auf den Wandel von der identischen zur variablen Reproduktion – eine Veröffentlichung, die den Zeitgeist der (computerisierten) Gegenwart widerspiegelt und zugleich in die Vergangenheit blickt und von Leon Battista Alberti berichtet. Er beschreibt, dass Albertis humanistische Idee einer (modernen) Autorschaft mittlerweile dem Untergang geweiht sei, da Objekte zunehmend als generative, offene Verfahren konzipiert werden, an deren Ende mehr als nur ein Objekt und Autor stehen könne (4). An dieser Stelle muss noch einmal erwähnt werden, dass Carpo hierbei mit Autorschaft auch Urheberschaft meint, da er neben der geistigen Prozesse auch im Sinne von materiellen Objekten schreibt. Wie aber ist es möglich, dass eine Person der alleingenannte Autor oder Urheber sein kann? Bevor nun also eine Autorschaft (mit Carpos Worten) einem Untergang geweiht sein kann, muss es diese Autorschaft, auch wenn erst einmal auf abstrakter Ebene, tatsächlich gegeben haben. Hier gilt zu beweisen, dass nicht nur beispielsweise die Herstellung eines Objekts mit den eigenen Händen und nicht durch fremde Hände erfolgte, sondern auch der gesamte, der wirklich gesamte Entstehungsprozess – also von der Idee bis zum vollendeten Zustand – vom Urheber allein generiert wurde. Vielleicht könnte man noch dem Entwurf eine solche bedingungslose Autorschaft zugeschrieben werden. Als Beispiel soll ein Entwurf für ein Objekt dienen, welches noch nicht realisiert, sondern nur theoretisch, quasi intellektuell auf Basis von Skizzen und Worten, nur von einem Autor allein, geschaffen wurde. Doch auch dies kann in Frage gestellt werden: Kein Entwurf kann ohne Verbindung zu etwas Anderem entstehen. Diese Verbindung besteht nach Außen (Vorgaben, Verortung, Zufall etc.) und nach Innen (Bewusstsein, Unterbewusstsein, Erlerntes, Erfahrenes etc.) und beeinflusst den Urhebenden in seinem Handeln. Er reagiert auf seine Umwelt und formt Materielles und Immaterielles in sie hinein. Diese Reaktion auf die Umwelt allein ist der Beweis dafür, dass der Urheber und damit auch Autor nicht isoliert, autonom gehandelt haben kann und das gesamte Werk nicht ausschließlich auf ihn allein zurückgeführt werden kann. Doch was ist, wenn behauptet wird, dass sich von diesen inneren und äußeren Wechselwirkungen freigemacht wurde, also beispielsweise keine Vorgaben, Verortungen oder Erfahrungen einen Einfluss genommen haben sollen und das Werk also tatsächlich „frei“ geschaffen wurde? Die freie Kunst ist dafür ein perfektes Beispiel, da sie oberflächlich betrachtet als losgelöst oder frei von allem, also ohne Bezug zu bestimmten Parametern verstanden werden kann. Es wäre nun schlichtweg paradox zu behaupten, dass es dort eine alleinige Autorschaft oder Urheberschaft geben könne, da jede Form des Daseins naturgemäß durch unsere Lebenswelt beeinflusst wird und niemand in der Lage ist, sich aus diesem Gefüge zu lösen, um tatsächlich frei zu sein. Ich verstehe unser Dasein als ein durch innere und äußere Einflüße gegenseitig bedingtes, ganzheitliches, also kontingentes In-der-Welt-Sein.
Gedanke 2 – Carpo sagt …
An dieser Stelle soll am Status Quo der bestehenden Definitionen in der gegenwärtigen Gestaltungspraxis in Bezug auf die Urheberschaft und damit Autorschaft festgehalten werden. Mario Carpo beschreibt, wie bereits erwähnt, dass die Idee der Autorschaft von Alberti aufgrund der offenen, generativen Verfahren der Digitalisierung gefährdet sei. Dieser These möchte ich widersprechen. Ich sehe keine Gefahr – jedenfalls nicht vollumfänglich. Natürlich, es wird zu Verschiebungen innerhalb der gestalterischen Systeme kommen, aber eine Gefahr, die einem kompletten Verschwinden der Urheberschaft und damit der Autorschaft geschuldet wäre, ist durch den Einfluss der neuen digitalen Technologien eher nicht zu befürchten, auch wenn am Ende eine Umdeutung einer Reihe von Verfahren stehen kann, wie sie bisher prägend für unser kulturell-gestalterisches Bewusstsein waren, beispielsweise Frage von Standardisierung und Einheitlichkeit. Aber warum geht nun keine Gefahr aus? Nun, für die Beantwortung dieser Frage müssen zunächst viele weitere Fragen gestellt werden, deren Antworten eine Antithese stützen, das heisst Fragen wie: Was meint Carpo mit generativen, offenen Verfahren? Wie unterscheiden sie sich von den gewohnten, also im Umkehrschluss, geschlossenen Verfahren? Werden die offenen Verfahren die geschlossenen Verfahren verdrängen? Was sind Vor- und Nachteile beider Verfahren? An erster Stelle möchte ich klären, was unter offenen, generativen Verfahren verstanden wird. Denn generative Verfahren werden in diesem Kontext nicht allein formal oder geometrisch aufgefasst, sondern vor allem im Zusammenhang der Additiven Verfahren oder Rapid Prototyping gesehen. In einfachen Worten ausgedrückt, es geht hierbei um die Fertigung von (realen) Objekten auf Basis digitaler Datensätzen, die mittels verschiedener Verfahren wie beispielsweise 3D-Druck oder Lasersintern hergestellt werden, in quasi „serieller“ Variabilität. Wichtig ist hier: Die Gefahr geht nicht von den generativen Verfahren an sich aus, da sie generell nur neue Formen der Herstellung von Objekten darstellen. Vielmehr geht die Gefahr aus den Möglichkeiten der Kombinationen der neuen Verfahren mit den Möglichkeiten offener, partizipativer Prozesse aus, da es diese neuen Verfahren überhaupt erst erlauben, Herstellungsprozesse für Dritte zu öffnen. Mit anderen Worten heisst das, dass für die Konsumenten ein Produkt hochgradig individualisierbar ist und unterschiedlichste Beteiligte auf das finale Ergebnis einwirken. Konzeptionell gesehen können alle Parameter in den digitalen Datensätzen nach Wunsch beeinflusst werden. Dies stellt natürlich das bestehende System in Bezug auf Urheber- und Autorschaft auf eine harte Probe. Nach Carpos Ansicht liegt hier der Kern der Herausforderung für die gestalterischen Disziplinen. Doch selbst wenn an dieser Stelle die albertianische Idee der Autorschaft aufgelöst wird, wird sie an anderen Stellen weiterbestehen: Geschlossene Verfahren wird es weiterhin immer geben, da beide Verfahren essentielle Vor- aber auch Nachteile haben. Der entscheidende Vorteil der geschlossenen Verfahren ist Sicherheit und Identität. Allein dieses Thema füllt viele Bücher, aber, um es kurz auf den Punkt zu bringen: Der Konsumierende erwirbt durch den Kauf eines Produkts Zugehörigkeit eines bestimmten Milieus oder möchte Teil eines bestimmten Trends sein. Beispiele hierfür gibt es viele. Eine Individualisierung durch den Konsumierenden macht an dieser Stelle nicht immer Sinn, da ansonsten die Zugehörigkeit oder ein Trend aufgeweicht und nicht erkannt wird. Diese Eigenschaft des geschlossenen Verfahrens ist einer der Gründe, warum beide Systeme nebeneinander bestehen werden und die Autoren- und damit Urheberschaft nicht verloren gehen wird, zumindest nicht in einer absoluten Form. Doch aktuell sehe ich die Akteure der Wirtschaft noch sehr in ihren alten Mustern gefangen und möchte diesen Zustand als Transition beschreiben, das heisst, eine Zeit mit Akteuren, die mit den offenen Verfahren arbeiten will, aber noch nicht bereit ist, den radikalen Schritt bis in die letzte Konsequenz zu wagen. Daher finden wir auf dem Markt viele Produkte, die durch Verfahren hergestellt werden, die nur auf dem ersten Blick offen erscheinen. Genauer betrachtet wird klar, dass diese tatsächlich nicht so offen, generisch und individuell sind, wie zuvor angenommen wurde. Daher unterliegen viele Verfahren noch immer den alten Paradigmen der Autor- und damit Urheberschaft. Der Vorteil: Die Rechtslage ist in diesen Verfahren stets gesichert. Beispiele gibt es viele: Digitale Datensätze, die durch einen Schreibschutz nicht verändert werden können, oder nur verändert werden können, wenn der Autor oder eine autorisierte Person diese Veränderung vornimmt (Beispiel: SAP). Ein weiteres Beispiel ist, die veränderbaren Parameter auf eine festgelegte und vorbestimmte Anzahl von Möglichkeiten zu begrenzen, um eine vorbestimmte Variantenbildung zu ermöglichen, die aber noch immer durch den Urheber bzw. Autoren vorfestgelegt wurde, damit keine unvorhergesehenen Veränderungen entstehen. Ein Beispiel hier ist der Sneaker-Konfigurator von Nike (NikeID) oder ein Konfigurator eines Automobilherstellers, der beispielsweise Lacke und Innenraumgestaltungen individualisierbar machen. Dem Konsumierenden wird sozusagen nur eine begrenzte „Pseudo-Individualität“ zu Teil, nicht mehr, nicht weniger. Diese pseudo-individuellen Beispiele zeigen die mitunter oberflächliche Offenheit der tatsächlichen Gestaltungspraxis, von der bisher keine Gefahr für die Autoren- oder Urheberschaft ausgeht und gleichzeitig zu Verwirrung bei der Frage nach den tatsächlich offenen Verfahren führt. Der Ausgangspunkt für die Sicherung der Urheber- und damit Autorschaft steht bei diesen Produkten also immer im Bezug zum Grad der Veränderbarkeit, ganz gleich mit welchem Verfahren sie produziert worden sind! Man darf dann durchaus gespannt sein, wie sich die digital-offenen, partizipativen Verfahren in der Realität zukünftig behaupten werden. Ein vorausschauendes Beispiel hierfür ist das Unternehmen Shapeways, das nicht nur eine Vielzahl von generativen Herstellungsverfahren anbietet, sondern zugleich einen Marktplatz für digitale Datensätze geschaffen hat, auf welchem Kunden ihre Designdaten zur Verfügung stellen und mit der Community teilen. Nach dem Kauf des Datensatzes können beliebige Veränderungen vorgenommen werden, es in unterschiedlichen Materialen realisieren lassen oder den veränderten Datensatz ebenfalls auf dem Marktplatz anbieten. Hier erhält die Frage nach der Autor- oder Urheberschaft eine ganz eigene Brisanz und führt zum nächsten Gedanken.
Gedanke 3 – Brauchen wir Urheber- und Autorschaft überhaupt noch?
An dieser Stelle möchte ich auf einen für mich paradoxen Zustand hinweisen: Es wird aktuell auf unterschiedlichen Kanälen über Autorschaft und Urheberschaft, besonders in Bezug auf die Digitalisierung debattiert, und dabei versucht neue rechtliche Regelungen zu finden, zum Beispiel: Designrecht 2014. Unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert befindet sich, wie damals zur Zeit der Mechanisierung vor mehr als 150 Jahren, an einem Wendepunkt, der vielleicht erst gar nicht versuchen sollte, in den alten Mustern das Neue hineinzudenken. Brauchen wir überhaupt noch Urheberschaft und damit Autorschaft, wenn doch durch das Teilen und Weitergeben von Informationen (Beispiel: Open-Source-Bewegungen) viel wertvollere Synergieeffekte hervorgebracht werden können? Hier könnte eine spannende Diskussion in Bezug auf Werte und Moral entstehen, die sich im Kern mit der Frage beschäftigt, wie der gesellschaftliche Geist durch den Einfluss der neuen digitalen Technologien beeinflusst wird und damit die Gestaltung völlig neue Ansätze und Disziplinen erfasst. Es gibt ein passendes Beispiel, das in diesem Kontext vielleicht nochmals angesprochen werden sollte: Die Firma Tesla machte Elektromobilität salonfähig und versuchte größtmögliche Marktanteile in der Automobilindustrie für sich durch das Urheberrecht zu sichern. Die Rechtslage sicherte die durch das Unternehmen entwickelte Technologie ab und folglich konnte kein anderes Unternehmen mit dieser Technik arbeiten. Doch wozu führte das? Es führte dazu, dass Tesla als Monopolist agierte und in vielen Teilen konkurrenzlos blieb. Eigentlich klingt das im kapitalistisch- wirtschaftlichen Sinn gut, aber die Technik und die zugehörigen Systeme konnten auch nur so gut entwickelt werden, wie sie diese selbst vorantrieben. Ein ausbleibender Wettbewerb ist nicht zu unterschätzen und nicht immer als positiv zu verstehen. So war es Tesla einfach unmöglich, den Markt so zu durchdringen, wie es für diese Technologien – und deren Verbreitung – zu diesem Zeitpunkt von Nöten gewesen wäre. Es machte schließlich keinen Sinn mehr, das Wissen und die zugehörigen Rechte für sich allein zu wahren, um global wirken zu können und die Märkte zu durchdringen. Sie waren isoliert. Schließlich lockerte das Unternehmen seinen alleinigen Anspruch auf die eingeführte Technik der (Lithium-Ionen-basierten) Elektromobilität. Dies führte zu wesentlich mehr Wettbewerb und schließlich auch dazu, dass durch die unterschiedlichen Konzerne global neue Konzepte gestaltet wurden und der Markt tiefer als zuvor von Elektromobilität durchdrungen wurde. Und, in der Tat, aktuell erleben wir einen tiefgreifenden Wandel unserer Wirtschafts- und Infrastrukturen zur Vorbereitung des dauerhaften Einsatzes von Elektrofahrzeugen. Dieses Beispiel zeigt, dass gemeinsam viel mehr erreicht werden kann als allein. In meinen Augen hätte es keine andere Möglichkeit für Tesla gegeben. Wie sonst hätte die bestehende Automobilindustrie, die bis zu diesem Zeitpunkt noch stärker von der Erdölindustrie abhängig war, fortschrittlichere Systeme für eine nachhaltigere Zukunft entwickeln können?
Reset – Fazit und Imagination
Die geltenden Definitionen von Autorschaft und Urheberschaft sollten zurückgesetzt und neu beschrieben werden. Ob eine Neudefinition im Spannungsfeld des digitalen Zeitalters überhaupt ausreicht, muss erprobt werden und vielleicht erfordert der digitale Wandel gleichzeitig einen Wandel der Verknüpfungen in den bestehenden Systemen, also ein ganzheitliches und zugleich zukunftsorientiertes Neudenken, da die Bedeutungen der Urheberschaft und damit der Autorschaft, an welche die Gesellschaft bis heute festhält, langsam aufgeweicht werden und in verschiedenen Bereichen immer mehr an Präsenz verlieren. Betont werden muss zudem, dass es nichts geben kann, ohne dass es durch innere und äußere Parameter (vorgängig) beeinflusst wurde. Wie aber kann nun der Anteil des alleinigen Schaffens in diesen Spannungsfeldern bestimmt werden, sodass das Ergebnis, ob nun als materielles oder als immaterielles Werk, im Rahmen einer sogenannten Autorschaft oder Urheberschaft wirtschaftsorientiert fixiert werden kann? Ist der Autor oder Urheber von heute und damals nicht vielmehr ein Arrangeur, ein Moderator, der stets auf Basis des Bestehenden handelt und durch die Manipulation der Parameter zwar oberflächlich Neues entstehen lässt, dennoch aber das vermeintliche Neue immer in den Wurzeln das Erbe der Vergangenheit und damit das bereits Dagewesene in sich trägt? Vielleicht haben schon die Begründer der Definitionen selbst bei ihrer Idee der Urheberschaft und damit Autorschaft nie verstanden, wie grundlegend der Prozess des kreativen Schaffens kontextuell beeinflusst wird. Deutlich wird allerdings auch: Damit in den Gesellschaften unterschiedliche Akteure und ihre Bezugssysteme funktionieren können, bedarf es durchaus Bestimmungen wie Gesetze, Normen oder Richtlinien. Diese Zusammenhänge sind teilweise sehr komplex und kaum zu überblicken, sodass an dieser Stelle diese Zusammenhänge über universelle Definitionen bestimmt werden müssen, damit das System in seiner Komplexität überhaupt existieren kann. Die geltenden Definitionen der Autor- und Urheberschaft, die ihre Akteure verstärkt in Form alleinschaffender Individuen oder Unternehmungen beschreiben, sind allerdings in Bezug auf die offenen digitalen Verfahren nicht mehr zeitgemäß. Aufgrund der beschriebenen Komplexität unserer gestalterischen Systeme wäre es aber leichtsinnig, bestehende Referenzen und Bezugssysteme vollkommen auszuhebeln und komplett neu zu erfinden. Wie erwähnt ist der Urheber und damit der Autor von gestern, heute und morgen vielmehr ein geschickter Arrangeur, ein Vermittler und Moderator, der seinesgleichen sucht und durch das Aufeinandertreffen erstaunliche Synergieeffekte auslösen kann. In anderen Worten: Gefragt sind angepasste Referenzsysteme für die digitalen Verfahren, die (insofern nötig) die Urheberschaft sichern und neben geltenden, modifizierten Ansätzen geschlossener Verfahren an Daseinsberechtigung gewinnt. Systeme für die Sicherung der Urheberschaft für sowohl offene als auch geschlossene Verfahren werden folglich nebeneinander existieren und je nach Art des Verfahrens unterschiedlich stark polarisieren. Es wird zu Vermischungen kommen. Daher müssen Fallbeispiele aus der Realität in einer Wechselwirkung zur Theorie betrachtet werden und ganz im Sinn eines adaptiven, vor allem hybriden Prozesses die Statuten für das veränderte Bild der Autoren und Urheber formen. Carpo sagt: „Die Veränderung der Akteure ist unvermeidbar“. Damit ist ein Umdenken gefordert: Kritik und Infragestellungen, sowie Neuorientierung werden auf uns zukommen. Das ist nicht negativ. Im Gegenteil: Für die gestalterischen Disziplinen bietet der digitale Wandel einen Nährboden aus vielfältigen Möglichkeiten für die eigene Neuerfindung, und das nicht nur nebenbei!